Das hessenweit einzigartige Inklusionsprojekt wurde gestartet,
weil wir uns gefragt haben, wie Schüler an Fachschulen im
Sozialwesen am besten auf ihren späteren Beruf vorbereitet werden
können.
Die Antwort war erstmal ganz einfach: Wir fragen die Menschen, für
die die jungen Heilerziehungspfleger einmal Betreuer sein werden.
In der Lebenshilfe wissen wir, dass Menschen mit
Lernschwierigkeiten Experten in eigener Sache sind und uns mit
ihren Beiträgen in unserer Arbeit voranbringen. Sie sind Experten,
weil sie selbst am besten wissen, was ein Mensch mit
Lernschwierigkeit braucht, um ein gutes Leben zu führen. Als
Lehrkraft können sie ihr Expertenwissen weitergeben. Genau dort,
wo es sinnvoll ist.
Für dieses Inklusionsprojekt konnten sich sechs Frauen und Männer
mit Lernschwierigkeiten im arbeitsfähigen Alter im
Bewerbungsprozess durchsetzen. Sie wollen zu Lehrkräften
ausgebildet werden und sind hochmotiviert dabei. Fertig ausgebildet
arbeiten sie als Co-Referenten und bringen sich mit ihrem
Expertenwissen ein. Sie werden künftig Schülern der
Heilerziehungspflege von ihren Erfahrungen in zum Beispiel
Wohnheimen, Werkstätten oder aus ihrer Freizeit berichten. Die
Schüler können besser nachvollziehen, wie der Alltag der Menschen
aussieht. Einen wichtigen Platz nehmen Themen wie Inklusion, Rechte
von Menschen mit Behinderung oder Diskriminierung ein. Aus der
Verknüpfung von Lebenserfahrungen und theoretischen Ansätzen
werden Spannungsfelder sichtbar, die die Co-Referenten in ihren
Unterrichtseinheiten den Schülern vermitteln. Ein Beispiel: Wie
finde ich als betroffene Person den Begriff Behinderung? Wie ist
die Definition von Behinderung? Gibt es hier Unstimmigkeiten?
Hieraus ergeben sich neue Denkansätze verbunden mit
Handlungskonzepten, die in der Betreuung im Alltag umgesetzt werden
können. An Fachschulen für Sozialwesen werden Schüler befähigt,
als professionelle Fachkräfte die Entwicklung einer inklusiven
Gesellschaft zu unterstützen.
Für die Menschen mit Lernschwierigkeiten eröffnen sich neue
Arbeitsmöglichkeiten, die sie in Ihrem Prozess des Empowerments
bestärken. Die Schüler erhalten neben dem theoretischen Wissen
praktische Lerninhalte und neue Perspektiven aufgezeigt, was das
Aufbrechen von Machtgefällen in den pädagogischen
Assistenzsystemen unterstützt.
Die Co-Referenten unterstützen Lehrkräfte mit ihrem besonderen
Wissen. Im Projekt werden die Menschen so qualifiziert, dass sie
den Unterricht mit der Haupt-Lehrkraft auf Augenhöhe
gestalten.
Die Menschen mit Lernschwierigkeiten brauchen finanzielle
Unterstützung. Zum Beispiel müssen sie ihre Fahrten zum
Ausbildungsort, zum Unterricht in der Fachschule und wieder
nachhause organisieren. Das kostet Geld und die Wegstrecken sind
teilweise sehr lang. Im Landkreis Marburg-Biedenkopf sind die
Regionen teils noch sehr ländlich. Nicht immer können Angehörige
fahren. In den meisten Fällen müssen Fahrdienste organisiert
werden.